
Hausarbeiten – Ein Auslaufmodell dank ChatGPT? Ideen für didaktische Modifikationen im Lichte von KI
KI auf dem Laptop
Foto: Freepik\frimufilmsAutor:innen: Evelyn Hochheim, Franziska Teichmann, Daniel Pastuh (Servicestelle LehreLernen)
Hausarbeiten abschaffen?
Seit dem Erscheinen von ChatGPT im November 2022 ist insbesondere ein Prüfungsformat in die Diskussion geraten: die Haus- bzw. Seminararbeit. Ausschlaggebend hierfür ist die Sorge, dass KI-generierte Texte als eigene Leistung ausgegeben werden. Solche Betrugsversuche sind schwer nachweisbar, da textgenerierende KI Unikate produziert, die nicht ohne Weiteres als Plagiate eingeordnet werden k?nnen.
Dies k?nnte nun zu dem Schluss verleiten, generell auf das Verfassen von Hausarbeiten zu verzichten und sie durch andere Prüfungsformate zu ersetzen. Aber auch dies bliebe nicht ohne Konsequenzen: Zum einen eignet sich die Hausarbeit hervorragend dazu, das Verst?ndnis von wissenschaftlichen Texten zu trainieren, den epistemisch-heuristischen Nutzen des Schreibens im Denkprozess zu vermitteln und wissenschaftliche Kompetenzen zu entwickeln und zu überprüfen. Mit dem Verzicht auf Hausarbeiten würde also ein für die wissenschaftliche Bildung ganz zentrales Potenzial zur Vermittlung fachlich-charakteristischer Denkmuster und Handlungsweisen aufgegeben. Gleichzeitig würden die Studierenden in diesem Fall nicht ad?quat auf die Anfertigung ihrer Bachelor- bzw. Masterarbeiten vorbereitet. Das Problem würde hier also im Studienverlauf lediglich zeitlich nach hinten verschoben. Vielleicht würde das T?uschungsrisiko in den Abschlussarbeiten selbst sogar steigen, wenn die vorbereitende ?bung wissenschaftlichen Schreibens fehlen würde.
Der Schlüssel zur L?sung des oben beschriebenen Problems liegt wohl in zweierlei: Einerseits muss differenziert betrachtet werden, für welche Arbeitsschritte und in welchem Umfang die Nutzung textgenerierender KI für das Verfassen wissenschaftlicher Texte im Allgemeinen und Hausarbeiten im Speziellen problematisch ist. Zum anderen ist zu überlegen, wie das Format der Hausarbeit so gestaltet werden kann, dass der Rückgriff auf textgenerierende KI entweder zielgerichtet erlaubt ist und damit auch transparent gemacht wird, oder aber die Attraktivit?t des Einbezugs von KI gesenkt werden kann.
L?sungsansatz 1: St?rkere Verzahnung von Hausarbeit und Pr?senzlehre
Eines ist zun?chst unstrittig: KI-generierte Texte als Bausteine in die eigene Hausarbeit einflie?en zu lassen und als Eigenleistung auszugeben ist unzul?ssig. Wenn wir grunds?tzlich davon ausgehen, dass Studierende sinnhaft handeln und am eigenen Lernfortschritt interessiert sind, dann stellt sich die Frage, warum solche Betrugsversuche überhaupt unternommen bzw. wodurch sie zumindest begünstigt werden. Hierfür ist m?glicherweise ein Problem urs?chlich, das schon sehr lange unabh?ngig vom Erscheinen von ChatGPT besteht: Studierende sind beim Schreiben von Hausarbeiten weitgehend auf sich allein gestellt. Der Schreibprozess beginnt in aller Regel in der vorlesungsfreien Zeit, wenn die Lehrveranstaltung l?ngst abgeschlossen ist. Nur selten sind Hausarbeiten Gegenstand des Lernprozesses, der über die Vorlesungszeit hinweg gemeinsam gestaltet wird. Das macht den Rückgriff auf ChatGPT für Studierende vielleicht erst so attraktiv. Sie handeln wom?glich aus einer Unsicherheit oder gar aus einer ?berforderung heraus.
Eine Strategie, diesem Problem entgegenzuwirken, besteht folglich darin, die Hausarbeit st?rker mit der Pr?senzveranstaltung zu verzahnen und Studierende damit zum eigenst?ndigen Weiterarbeiten in der vorlesungsfreien Zeit zu bef?higen. Das hie?e, dass die Studierenden bereits w?hrend der Vorlesungszeit erste Arbeitsschritte hin zur Hausarbeit absolvieren und ihre Arbeitsergebnisse innerhalb der Lehrveranstaltung zur Diskussion stellen bzw. innerhalb der Lehrveranstaltungen gezielt mit diesen Ergebnissen gearbeitet wird. Dies h?tte zugleich den Vorteil, dass Fragen und auch Fehler, die auf Seiten Studierender erst im Arbeitsprozess entstehen, als Lerngelegenheiten aufgegriffen werden k?nnen und dass (Peer?)Feedback nicht erst nach Vollendung der Arbeit erfolgt, sondern noch in den Arbeitsprozess einflie?en kann. Dass in diesem Szenario au?erhalb der Pr?senz eine Nutzung von ChatGPT erfolgt, ist zwar nicht auszuschlie?en, jedoch scheinen hier sowohl der Lernprozess hin zu einer Bef?higung zum selbst?ndigen wissenschaftlichen Arbeiten als auch eine signifikante Eigenleistung gesichert.
L?sungsansatz 2: Textgenerierende KI gezielt und transparent einbinden
Eine zweite L?sungsidee tr?gt der Tatsache Rechnung, dass textgenerierende KI nicht per se problematisch ist. Vielmehr hat KI das Potenzial, zukünftig mehr und mehr Teil professioneller Schreibpraxis zu werden und Schreibprozesse zu unterstützen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Autor:innen in der Lage sind, die KI zielgerichtet und kompetent zu nutzen. Dazu geh?rt es bspw., das passende Tool auszuw?hlen, die KI-generierten Ergebnisse einer kritischen Prüfung zu unterziehen und diese Ergebnisse dann weiterzuentwickeln. Vor diesem Hintergrund spricht viel für eine offensive Einbindung von KI, auch im Kontext von Hausarbeiten, um relevante Kompetenzen im Zusammenhang mit textgenerierender KI zu entwickeln.
Diese Kompetenzentwicklung ist jedoch nur dann m?glich, wenn Studierende Ausgaben von ChatGPT nicht schlicht übernehmen, sondern sie – gegebenenfalls didaktisch angeleitet – kritisch hinterfragen, sch?rfen und damit wissenschaftlich weiterentwickeln. In Abgrenzung zu den o.g. Betrugsf?llen ist dieses Szenario durch ein hohes Ma? an Transparenz gekennzeichnet. Dies k?nnte beispielsweise dadurch eingel?st werden, dass Studierende aufgefordert werden, ihrer Hausarbeit ein Reflexionspapier beizufügen, in dem sie darlegen, welche Prompts sie mit welchen Ergebnissen genutzt haben, wie sie ihre Suche gesch?rft, wo sie Defizite der Textausgaben von ChatGPT ausgemacht und wie sie mit den Ergebnissen weitergearbeitet haben. Diese Reflexion der eigenen Nutzung der KI k?nnte in Abstimmung mit den gesetzten Lernzielen sogar Eingang in die Bewertungskriterien für Hausarbeiten finden. In diesem Szenario kann es auch sinnvoll sein, den Umgang mit der KI selbst zum Lerninhalt zu machen. Es ist anzunehmen, dass eine kompetente Nutzung KI-basierter Assistenzsysteme in Zukunft – in der Wissenschaft und darüber hinaus – zunehmend selbst eine wichtige F?higkeit werden wird. Daher kann es wertvoll sein, sich mit Studierenden auszutauschen und ihnen Hinweise zu geben, wie sie KI sinnvoll in ihrem Arbeitsprozess einbinden k?nnen, etwa zum Erarbeiten eines thematischen Grundverst?ndnisses, zum Brainstormen m?glicher Forschungsfragen, zur Unterstützung bei der Recherche und zum ?berarbeiten von Textentwürfen.
L?sungsansatz 3: Den inhaltlichen Fokus der Hausarbeit verschieben
Der dritte L?sungsansatz führt den Grundgedanken des offensiven Einbeziehens von KI noch konsequenter fort, indem er an der Aufgabenstellung für die Hausarbeit selbst ansetzt, um Studierenden M?glichkeiten und Grenzen von KI zu vermitteln. In der konventionellen Lehrpraxis ist der Arbeitsauftrag h?ufig sehr allgemein gestellt: Studierende w?hlen ein Thema, zu dem sie eine wissenschaftliche Arbeit verfassen sollen. Je nach Lernziel k?nnte hier nun eine Spezifizierung erfolgen, die im Arbeitsprozess gezielt eine wissenschaftlich-inhaltliche Auseinandersetzung mit den Textausgaben von ChatGPT selbst initiiert. Die Tatsache, dass ChatGPT gerade keine wissenschaftlichen Texte ausgibt und h?ufig sogar fehlerhafte Inhalte sprachlich überzeugend wiedergibt, kann hier Anlass bieten, KI-Textausgaben im Rahmen von Hausarbeiten einer fundiert-kritischen Analyse zu unterziehen.
Dies k?nnte in mehreren Arbeitsschritten erfolgen. In einem ersten Schritt k?nnten Studierende aufgefordert sein, zur Kl?rung einer spezifischen Fragestellung Prompts zu entwickeln, um ChatGPT hier als Informationsquelle zu nutzen. In einem zweiten Schritt würde eine dezidierte Sichtung der generierten Textausgaben erfolgen. Davon ausgehend w?ren die Studierenden nun angehalten, wissenschaftliche Literatur zu recherchieren und zu sichten. Im Rahmen einer Analyse würden sie anschlie?end gründlich eruieren, an welchen Stellen ChatGPT Kernaussagen einer Theorie bzw. eines Textes korrekt herausstellt und wo sich Widersprüche zwischen Textausgaben von ChatGPT und der wissenschaftlichen Literaturbasis ausmachen lassen. Einfach formuliert würden die Studierenden in einem solchen Szenario herausarbeiten, an welchen Stellen ChatGPT oberfl?chlich arbeitet oder gar Fakten erfindet. Dieses Szenario schult neben der kompetenten Verwendung textgenerierender KI auch das wissenschaftlich-kritische Denken. Durch die begleitete Auseinandersetzung mit diesen Ausgaben und deren wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung k?nnen Studierende ein feineres Gespür für die Qualit?tskriterien wissenschaftlicher Texte entwickeln und lernen, wie sie KI-generierte Zwischenergebnisse sinnvoll weiterentwickeln k?nnen.
Insgesamt scheint also trotz der Herausforderungen, die die textgenerierende KI für Prüfungsformate wie Haus- und Seminararbeiten darstellt, ihre Abschaffung weder sinnvoll noch wünschenswert. Die Schlüsselfrage liegt vielmehr in einer differenzierten Betrachtung und Anpassung des Formats. Und hierfür bieten sich vielf?ltige M?glichkeiten an. Diesen M?glichkeitsraum passend zum eigenen Lehr- und Lernsetting und den spezifischen Lernzielen der eigenen Veranstaltungen zu nutzen, kann einen entscheidenden Beitrag für die wissenschaftliche Bildung und Kompetenzentwicklung der Studierenden leisten. Gleichzeitig ist es eine wertvolle Gelegenheit, Studierende auf ihrem Weg hin zu einer mündigen Nutzung von KI zu begleiten.
zum Thema passende Veranstaltungen der Servicestelle LehreLernen zu KI und ChatGPT:
Lunch Talk (online): ?Hausarbeiten – Ein Auslaufmodell dank ChatGPT? Ideen für didaktische Modifikationen im Lichte von KI“
29.09.2023, 12-14 UhrExterner Link
Workshop: ChatGPT & Co – KI in der Lehre sinnvoll einsetzen