
Wer sich als Erste oder Erster in einer Familie auf den Weg in die Wissenschaft begibt, hat es oft nicht leicht. Dies betrifft sowohl Promovierende aus Nicht-Akademiker-Haushalten als auch Promovierende mit Migrationshintergrund. Um es ein wenig einfacher zu machen, haben wir hier ein paar Informationen zusammengetragen: zur Finanzierung von Promotionen, zu Vernetzungsm?glichkeiten und zur ?berwindung des Fremdheitsgefühls in der akademischen Welt.
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Promotionsstelle
Wer aus einem nicht-akademischen Haushalt kommt, ist bei jedem weiteren Schritt der wissenschaftlichen Qualifizierung h?ufig mit der Erwartung des sozialen Umfelds konfrontiert, insbesondere der Eltern, dass ?endlich auch mal richtig Geld verdient werden sollten“. Hier unterscheidet sich die Promotionsphase von der Studienzeit: Es gibt Besch?ftigungsverh?ltnisse, die extra zur Finanzierung von Promotionen angeboten werden.
Ein h?ufiger Weg der Promotionsfinanzierung ist eine Besch?ftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Lehrstuhl oder in einem Drittmittelprojekt. Eine gute Voraussetzung, um eine solche Stelle zu erhalten, ist h?ufig die vorherige T?tigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft w?hrend des Studiums. Die Promotionsstellen werden meist für drei Jahre oder die Laufzeit des Drittmittelprojekts ausgeschrieben.
Weitere Informationen zu dieser Form der Finanzierung finden Sie hier.
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Strukturierte Promotionsprogramme
Zunehmend h?ufiger gibt es sogenannte strukturierte Promotionsprogramme in Form von Graduiertenschulen oder -kollegs. In diesen Programmen forschen und promovieren Sie thematisch fokussiert zu einem gemeinsamen Forschungsthema. Die Finanzierung erfolgt in der Regel über programmeigene Stipendien oder Stellen. Die Vergabe findet üblicherweise zu einem festgesetzten Termin in einem Auswahlverfahren durch eine Vergabekommission statt. Die transparente Vergabe in einem Auswahlverfahren und die h?here Strukturiertheit der Promotion in diesen Programmen führen (neben anderen Faktoren) dazu, dass der Anteil von Promovierenden aus nicht-akademischen Haushalten, mit Migrationsgeschichte oder internationaler Herkunft in den strukturierten Programmen deutlich h?her ist.
Weitere Informationen zu den strukturierten Promotionsprogrammen an der Friedrich-Schiller-Universit?t Jena finden Sie hier.
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Promotionsstipendien
Um ein Promotionsstipendium zu erhalten, muss nach dem Masterabschluss zun?chst h?ufig eine 6- bis 12-monatige Such- und Bewerbungsphase überbrückt und finanziert werden. Hierfür gibt es leider nur sehr selten ?berbrückungshilfen (eine Ausnahme sind die Exposé-Stipendien der Universit?t G?ttingenExterner Link). Erschwerend kommt hinzu, dass die 13 Begabtenf?rderungswerke, welche die meisten Promotionsstipendien in Deutschland vergeben, einen besonderen Fokus auf soziales und zivilgesellschaftliches Engagement legen. Wenn man allerdings das Studium über Nebenjobs finanzieren musste, kann es oft schwer sein, sich auch noch sozial zu engagieren. Es gibt allerdings auch Stiftungen, die (neben dem geforderten Engagement) explizit auch die soziale Herkunft oder einen Migrationshintergrund? bei der Stipendienauswahl berücksichtigen, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Hans-B?ckler-Stiftung, die Heinrich-B?ll-Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder die Stiftung der deutschen Wirtschaft.
Weitere grunds?tzliche Informationen zu Stipendien für die Promotion und zur Stipendienbewerbung finden Sie hier. Die Initiative ApplicAidExterner Link bietet Promovierenden aus nicht-akademischen Haushalten zudem Unterstützung bei der Bewerbung um ein Stipendium.
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Industriepromotion/Berufsbegleitende Promotion
Einige Unternehmen bieten ihren 欧洲杯投注地址_明升体育-竞彩足球比分推荐n die M?glichkeit, berufsbegleitend zu promovieren. Im Arbeitsvertrag wird dann geregelt, welcher Anteil der Arbeitszeit für die Promotion verwendet werden kann. Ob dies in Ihrem Unternehmen m?glich ist, müssen Sie zun?chst mit Ihrem Arbeitgeber kl?ren. Nachdem dies gekl?rt ist, müssen Sie eine Betreuerin oder einen Betreuer an einer Forschungseinrichtung finden, die oder der Ihr Promotionsprojekt betreuen würde.
Auch wenn Ihr Unternehmen die M?glichkeit einer Freistellung zur Promotion nicht anbietet, k?nnen Sie berufsbegleitend promovieren. Insbesondere wenn Sie bereits eine Ausbildung oder einen Beruf vor Ihrem Studium abgeschlossen haben, k?nnen Sie dies für die Finanzierung Ihrer Promotion nutzen. Sie arbeiten dann in Ihrem erlernten Beruf und verfolgen die Promotion neben dieser T?tigkeit. Sie sollten allerdings beachten, dass dies eine gro?e Doppelbelastung bedeuten kann und daher eine Promotion auf diesem Wege h?ufig deutlich l?nger als drei oder vier Jahre dauern kann. Wichtig ist, dass Sie eine Betreuerin oder einen Betreuer finden, mit der oder dem Sie den Zeithorizont Ihres Promotionsvorhabens besprechen k?nnen. Weitere Informationen zur Suche einer Promotionsbetreuung finden Sie hier.
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Akademische Sprache
Die akademische Sprache – insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften – kann zun?chst befremdlich wirken. Es ist sicherlich sinnvoll, eine Fachsprache zu verwenden, wenn bestimmte Konzepte und Ideen in einer wissenschaftlichen Fachdisziplin etabliert sind. Allerdings kann dies auch ein Weg sein, andere mit einer gelehrten Sprache einzuschüchtern oder eigenes Unwissen zu überspielen. Bereits in den 1970er Jahren wurde dies von Wolf Wagner als ?Uni-Bluff“ beschrieben. Er beschrieb in seinem (immer wieder neu aufgelegten) Buch ?Uni-Angst und Uni-BluffExterner Link“ diverse Strategien, wie dieser Bluff an den Universit?ten – insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften – eingesetzt wird. Es kann sehr hilfreich sein, sich diese Bluff-Regeln und -Strategien anzuschauen, da so das Fremdheitsgefühl in der akademischen Welt geringer wird und deutlich wird, dass auch hier nur "mit Wasser gekocht" wird. Ein Interview mit dem Autor und einige der Bluff-Regeln finden Sie hierExterner Link.
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Hochstapler-Syndrom
Das Fremdheitsgefühl ?u?ert sich bei Personen aus Nicht-Akademiker-Haushalten oder mit Migrationshintergrund oft auch im sogenannten Hochstapler-Syndrom: Man glaubt, dass man die eigenen Leistungen nicht durch die eigenen F?higkeiten, sondern nur durch Zuf?lle oder besondere Umst?nde erreicht hat, und dass man eigentlich unf?hig und defizit?r ist, die anderen das aber noch nicht entdeckt haben. Es sei daher nur eine Frage der Zeit, bis man von den Anderen als Hochstaplerin bzw. als Hochstapler enttarnt wird. Dieses Syndrom ist in der Wissenschaft jedoch generell, also unabh?ngig von der eigenen sozialen Herkunft, weit verbreitet – besonders aufgrund der oftmals unsicheren Karrierewege und des enormen Wettbewerbsdrucks. Weitere Informationen zu diesem Syndrom in der Wissenschaft finden Sie hierExterner Link.
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Geringere Durchl?ssigkeit bei h?heren Bildungsabschlüssen
Die Durchl?ssigkeit des deutschen Hochschulsystems für Studierende und Promovierende aus Nicht-Akademiker-Familien ist leider immer noch nicht sehr gro?: Von 100 Grundschülern und -schülerinnen aus akademisch-gepr?gten Haushalten erlangen 10 Personen eine Promotion, aus nicht-akademisch gepr?gten Haushalten gelingt dies lediglich einer Person. In der untenstehenden Abbildung aus dem Hochschulbildungsreport Externer Linkist grafisch illustriert, wann die meisten Nicht-Akademiker-Kinder das Bildungssystem verlassen: Der Zugang zum Studium stellt eine sehr gro?e Hürde dar, aber auch in der Phase nach dem Bachelorabschluss steigen viele Nicht-Akademiker-Kinder aus. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass sich viele lieber für eine Erwerbst?tigkeit nach dem Bachelorabschluss entscheiden als noch eine weitere (kostenintensive) Qualifizierungsphase anzuschlie?en. Zum anderen scheiden auch überproportional viele Nicht-Akademiker-Kinder – wahrscheinlich aufgrund von Finanzierungsproblemen – aus dem Masterstudium aus. Eine ?hnliche Dynamik dürfte nach dem Abschluss des Masterstudiums zu beobachten sein.
Unterschiede im Erreichen der n?chsten Bildungsstufe
Foto: Hochschulbildungsreport 2020 -
Gründe für die abnehmende Promotionsquote der ersten Generation
Insgesamt hat die Promotionsquote von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit einer nicht-akademischen Herkunft in den letzten Jahren abgenommen (vgl. Jaksztat/L?rz 2018Externer Link). Dies hat verschiedene Gründe: Die Promotionsquoten unterscheiden sich zum einen deutlich nach F?chern. Dies ist auch durch die Studienfachwahl am Anfang des Studiums bedingt: Studierende aus Nicht-Akademiker-Haushalten sind in geistes- und sozialwissenschaftlichen F?chern deutlich überrepr?sentiert, w?hrend Studierende aus Akademiker-Haushalten in Medizin und Rechtwissenschaften überrepr?sentiert sind. In den naturwissenschaftlichen F?chern sind beide Gruppen etwa gleich verteilt. In den letzten Jahren ist die Promotionsquote in den F?chern Rechtswissenschaften und Medizin deutlich gestiegen (in den Rechtswissenschaften von 7 auf 20 Prozentpunkte und in der Medizin von 46 auf 66 Prozentpunkte). Gleichzeitig erh?hten sich die Promotionsquoten in den Studienf?chern, die von Personen aus nicht-akademischen Haushalten eher gew?hlt werden, nur leicht oder blieben gleich.
Als weiteren Faktor identifizierten Jaksztat und L?rz die zunehmende Bedeutung von wissenschaftlichen Hilfskraftt?tigkeiten für die Aufnahme einer Promotion. Studierende aus Akademiker-Familien sind h?ufiger als wissenschaftliche Hilfskraft t?tig als Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien. Die Hilfskraftt?tigkeit bietet einen leichteren Zugang zu potentiellen Promotionsbetreuerinnen und -betreuern und führt h?ufig dazu, dass Hilfskr?fte nach dem Masterabschluss gefragt werden, ob sie nicht mit einer Promotion am Lehrstuhl weitermachen wollen. Aus diesem Grund hat die Universit?t zu K?ln auch ein Programm zur F?rderung von studentischen Hilfskraftstellen für Studierende der Ersten GenerationExterner Link gestartet.
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Soziale Herkunft von Professorinnen und Professoren
Lange Zeit wurde die Herkunft von Professorinnen und Professoren nicht untersucht. Im Rahmen ihrer Dissertation befragte die Soziologin Christina M?ller alle Professorinnen und Professoren des Landes Nordrhein-Westfalen nach ihrer Herkunft. Die Ergebnisse ihrer Befragung deuten darauf hin, dass nach einer Phase der gr??eren Offenheit in den 1990er Jahren, die mit einer vermehrten Besetzung von Lehrstühlen durch Personen aus nicht-akademischen Haushalten gekennzeichnet war, nun wieder eine Schlie?ung einsetzt und Personen aus dem akademischen Herkunftsmilieu h?ufiger auf Lehrstühle berufen werden. Nur jeder zehnte Lehrstuhl wurde in den 2010er Jahren in Nordrhein-Westfalen mit einer Person aus einem nicht-akademisch gepr?gten Haushalt besetzt. Unterschiede zeigten sich auch nach F?chern: Die juristischen und medizinischen F?cher geh?ren zu den sozial eher geschlossenen Disziplinen, im Gegensatz zu den erziehungswissenschaftlichen, sozial- und politikwissenschaftlichen F?chern. Weitere Informationen zur Studie und zu diesem Thema finden Sie?hierExterner Link.
Empfehlenswert ist auch das Buch "Vom Arbeiterkind zur Professur. Sozialer Aufstieg in der WissenschaftExterner Link". Darin berichten einige jetzige Professinnen und Professoren von ihrem pers?nlichen Werdegang.?
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Fehlende Bildungsgerechtigkeit für Personen mit Migrationshintergrund
Mehr als ein Fünftel der Bev?lkerung in Deutschland hat einen Migrationshintergrund – also ein Elternteil, das in einem anderen Land geboren wurde. Inwiefern der Migrationshintergrund einen Einfluss auf die Bildungschancen w?hrend des Studiums oder der Promotion in Deutschland hat, wurde erst in den letzten Jahren vermehrt untersucht. In einer Untersuchung für die Gewerkschaft GEW hat René Krempkow im Jahr 2022 eine ?bersicht entwickeltExterner Link, welche die Bildungsbeteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zeigt. Die Grafik verdeutlicht, wie unterschiedlich die ?bergangsquoten von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Migrationshintergrund auf den einzelnen Bildungsstufen sind: Nur 37 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund wechseln auf eine Schule, an der sie einen Abschluss machen k?nnen, der ihnen ein Studium erm?glicht (Gymnasium oder Gesamtschule). Bei den Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund sind es im Gegensatz dazu 57 Prozent. Nach dieser frühen Selektion sind die ?bergangsquoten zu den h?heren Bildungsabschlüssen ?hnlich hoch oder sogar h?her. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass Personen mit Migrationshintergrund oftmals ein h?heres Streben und einen st?rkeren Willen habenExterner Link, ein Studium abzuschlie?en. Dennoch kann dies nicht die Selektion ausgleichen, die am Anfang des Bildungssystems stattgefunden hat: Letzten Endes schlie?en nur zwei von 100 Personen mit Migrationshintergrund eine Promotion ab – im Gegensatz zu vier von 100 ohne einen solchen Hintergrund. Es besteht hier allerdings auch ein Zusammenhang mit der sozialen Herkunft: Fast die H?lfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrund stammt aus einem nicht-akademischen Haushalt mit niedrigem sozio?konomischem Status – im Gegensatz zu einem Fünftel der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.?
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Weiterführende Literatur
- Becker, Birgit; Gresch, Cornelia (2015): Bildungsaspirationen in Familien mit MigrationshintergrundExterner Link
- Jaksztat, S. & L?rz, M. (2018): Ausma?, Entwicklung und Ursachen sozialer Ungleichheit beim Promotionszugang zwischen 1989–2009Externer Link
- Kremkow, René (2022): Gleiche Chancen für alle? Konzeption und Ergebnisse eines "Migrations-Bildungstrichters"?Externer Link
- Leikhof, Ulrike (2021): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Begabungsf?rderung – eine BestandsaufnahmeExterner Link
- M?ller, Christina (2015): Herkunft z?hlt (fast) immer. Soziale Ungleichheiten unter Universit?tsprofessorinnen und -professorenExterner Link
- Neumeyer, Sebastian; Pietrzyk, Irena (2019): Hochschulabsolvent/innen mit Migrationshintergrund am ?bergang in die PromotionExterner Link
- Reuter, Julia et. al. (Hg.) (2020): Vom Arbeiterkind zur Professur. Sozialer Aufstieg in der WissenschaftExterner Link
- Stifterverband (2021): Vom Arbeiterkind zum Doktor. Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg der ErststudierendenExterner Link