
- Forschung
Meldung vom: | Verfasser/in: Katrin Bogner
Macht Fernsehen dumm? Das untersuchte Dr. Matthias Nürnberger aus der Klinik für Neurologie am Universit?tsklinikum Jena in einer prospektiven Studie. Im Ergebnis zeigte sich, dass exzessiver Fernsehkonsum sogar einen positiven Effekt sowohl auf die visuelle Informationsverarbeitung als auch die motorische Lernf?higkeit haben kann, und das teilweise deutlich. Fernsehen ist also besser als sein Ruf. Die Studie wurde im Fachjournal ?Scientific Reports“ ver?ffentlicht. ??
Wer viel fernsieht, der verbl?det – ein Satz, den viele kennen. Fernsehen geh?rt zur liebsten Freizeitbesch?ftigung der Europ?er, etwa 210 Minuten TV schauen sie im Durschnitt pro Tag, vermutlich sogar mehr. ?Meistens untersch?tzen die Menschen, wie viel Fernsehen sie tats?chlich konsumieren. Oder sie m?chten bei Umfragen keine ehrliche Antwort geben, weil Fernsehen landl?ufig einen schlechten Ruf hat“, beschreibt es Dr. Matthias Nürnberger, Neurologe und Oberarzt im Notfallzentrum am Universit?tsklinikum Jena (UKJ). Zahlreiche Studien schreiben exzessivem TV-Konsum negative Effekte zu, viel fernsehen soll auch zu kognitiven Defiziten führen. Allerdings handelt es sich dabei fast ausschlie?lich um retrospektive Studien. Das hei?t, diese Eigenschaften werden im Nachhinein mit zu viel Fernsehen erkl?rt. Aber macht Fernsehen tats?chlich dumm??
?Wir hatten schon die Vermutung, dass Fernsehen für unser Gehirn besser ist als sein Ruf“, so Nürnberger. ?Es existierten aber keine prospektiven Studien.“ Das ?nderten Nürnberger und sein Forschungsteam. In einer randomisierten, kontrollierten Interventionsstudie untersuchten sie, ob eine intensive visuelle Stimulierung durch Fernsehen unsere Verarbeitung von optischen Informationen, also unser visuelles Kurzzeitged?chtnis, und unsere motorische Lernleistung – das ist die F?higkeit, bestimmte Bewegungsmuster durch wiederholte Ausführungen zu erlernen – verbessern k?nnen. Dazu lie?en sie 74 junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren fünf Tage lang in einer kontrollierten Umgebung entweder exzessiv fernsehen, das hei?t acht Stunden pro Tag, oder eben überhaupt nicht fernsehen. Beide Gruppen absolvierten w?hrend des Experiments einen Kurs im Tippen auf der Tastatur im 10-Finger-System – eine Fertigkeit, die sie vorher nicht beherrschten und die motorische F?higkeiten mit visueller Informationsverarbeitung verknüpft. Dazu standen t?gliche Tests des Lernfortschritts sowie Vor- und Nachuntersuchungen und MRT-Aufnahmen des Gehirns auf dem Programm.
Das Maximum an Synapsen durch TV-Konsum erh?hen
Das Ergebnis überraschte in seiner Deutlichkeit selbst das Forschungsteam: Die TV-Gruppe schnitt bei allen Testungen besser ab als die Kontrollgruppe ohne TV-Konsum, teilweise sogar signifikant. Die Effekte lie?en sich direkt im Gehirn nachweisen. ?Eigentlich gilt das Gehirn ab einem gewissen Alter als kognitiv austrainiert. Mit etwa 25 Jahren ist das Maximum an Synapsen erreicht und es ist sehr schwierig, diese Obergrenze zu ver?ndern. Aber, und das legt unsere Studie nahe: Mit sehr viel visuellem Reiz ist es doch m?glich, noch eine Verbesserung zu erzielen“, berichtet Nürnberger.?
Ganz konkret zeigten sich folgende Ergebnisse:
- Motorisches Lernen: Die TV-Gruppe erbrachte bei der motorischen Lernaufgabe, also Tastaturschreiben nach dem 10-Finger-System, deutlich bessere Leistungen als die Kontrollgruppe. Hierzu wurde w?hrend des Aufenthalts t?glich der Lernfortschritt beim Tippen gemessen. Die TV-Gruppe schnitt 10 bis 15 Prozent besser ab.
- Visuelles Kurzzeitged?chtnis: Die TV-Gruppe zeigte eine erh?hte F?higkeit zur kurzfristigen visuellen Wahrnehmung, 25 Prozent besser als die Kontrollgruppe ohne Fernsehkonsum. Um das zu messen, absolvierten die Teilnehmenden vor und nach dem Experiment Tests zur Wahrnehmung visueller Informationen. Dazu wurde ihnen auf einem Display eine Reihe roter und/oder blauer Buchstaben angezeigt und sie mussten, unterschiedlichen Anforderungen entsprechend, Buchstaben in einer der beiden Farben melden.?
- Verknüpfung im Gehirn: Bei der TV-Gruppe zeigte sich eine erh?hte Verknüpfung zwischen den visuellen und motorischen Lernnetzwerken im Gehirn. Dafür wurden von allen Teilnehmenden vor und nach dem Experiment funktionelle MRT-Aufnahmen des Gehirns im Ruhezustand gemacht. Bei der TV-Gruppe zeigte sich au?erdem eine Volumenzunahme in der linken Gehirnh?lfte, konkret im entorhinalen Kortex, der zur Verarbeitung visueller Informationen, also dem visuellen Kurzzeitged?chtnis, beitr?gt. ?
?Ob diese Effekte von Dauer sind und wie sich im Vergleich ein durchschnittlich langer Fernsehkonsum auswirkt, muss noch untersucht werden“, sagt Nürnberger. Derzeit untersucht er mit seinem Team, wie sich der TV-Konsum auf die kognitive Leistung bei ?lteren Teilnehmenden auswirkt. ?Bislang ist noch vieles unerforscht. Uns war es wichtig, erstmals eine prospektive Studie zu den Auswirkungen von Fernsehkonsum zu machen und eben nicht im Nachhinein kognitive Defizite mit dem Fernsehen zu begründen." Eine Empfehlung fürs Dauerfernsehen spricht Nürnberger dennoch nicht aus: ?Fernsehen hat eben nicht nur Auswirkungen auf das Gehirn. Wer nur vor dem Fernseher sitzt, bewegt sich in aller Regel nicht viel und schr?nkt auch sein Sozialleben ein. Insofern: Fernsehen ist zwar besser als sein Ruf, aber man sollte es trotzdem damit nicht übertreiben.“
Origina-Publikation:
Nuernberger, M., Finke, K., Nuernberger, L. et al.: Visual stimulation by extensive visual media consumption can be beneficial for motor learning. Sci Rep 13, 22056 (2023). https://doi.org/10.1038/s41598-023-49415-4Externer Link
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