
Meldung vom: | Verfasser/in: Axel Burchardt
Vor 200 Jahren, genau am 30. Juli 1822, soll einer von damals neun Karzern der Universit?t Jena an einem Tag ausgemalt worden sein. Martin Disteli habe als gefange?ner Student mit Blut, Kot und anderen organischen Materialien zahlreiche Szenen mit gr???tenteils karikierten Perso?nen an die W?nde der rd. 15 Quadratmeter umfassenden Zelle ge?malt, lautet die oft erz?hlte Geschichte. Sie ist nur eine Legende, hat die jüngst begonnene Restaurierung des historischen Kar?zers bereits belegt – dieser Teil der Jenaer Universit?ts?geschichte muss neu geschrieben werden.
Thüringens einziger historischer Karzer
Lange Zeit wurde das ehemalige Studentengef?ngnis der Jenaer Universit?t, der Karzer, nur zu besonderen Gelegenheiten ge?ffnet. Zu gro? war die Angst, die Besucher k?nnten durch ihr Schwitzen oder durch Berührungen der seltenen Bemalung schaden. ?Denn es ist der ein?zige historische Karzer in Deutschland, der vollst?ndig von nur einem Künstler ausgemalt wurde“, sagt Dr. Babett Forster, Leiterin der Kustodie der Friedrich-Schiller-Universit?t Jena. Doch sie und ihre Mitarbeiterin Gina Grond wollten dieses historische Kleinod gerne der ?ffentlichkeit st?rker zug?nglich machen. Grundlage dafür war eine Restaurierung mit ent?sprechender Sicherung der Bemalung. Als die Kustodie dafür F?rdermittel vom Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Arch?ologie, dem Verein für Jenaer Stadt- und Universi?t?ts?geschichte, der Freundesgesellschaft der Jenaer Universit?t sowie Eigenmittel der Uni?versit?t eingeworben hatte, konnte die Restaurierung starten.
Analyse widerlegt Legende
Beauftragt wurde die freischaffende Restauratorin und Karzer-Spezialistin Katharina Heiling. Sie sandte noch vor Beginn der praktischen Arbeiten in Jena einige Materialproben aus dem Karzer an ein Speziallabor in Prag. Die Analyse belegte: Es wurde weder mit Blut noch mit Kot gemalt, sondern mit vor 200 Jahren g?ngigen Farben. Diese wurden vermutlich von Disteli selbst aus den natürlich vorkommenden Erdpigmenten gelber und brauner Ocker sowie den Bindemitteln Lein?l und Kalkkasein hergestellt – ein Teil der Legende war widerlegt. Und auch die Geschichte, Disteli habe den Karzer als Gefangener in einer Nacht- und Nebel-Aktion bemalt, konnte durch Katharina Heiling dem Reich der Mythen zugeordnet werden. Nach einer Oberfl?chenreinigung war ein ungest?rter Blick auf die Malereien m?glich. Anstatt einer zügig in den nassen Kalk gemalten Fresko-Technik arbeitete Disteli in Seccotechnik und mal?te auf eine bereits trockene Kalktünche, konnte Katharina Heiling nachweisen. Auff?llig dabei ist der Einsatz verschiedener Bindemittel an unterschiedlichen W?nden, wodurch sich die Male?reien der Nordwand ma?geblich von den anderen Malereien unterscheiden. Man gehe jetzt davon aus, sagt Kustodin Forster, dass der Jenaer Student Martin Disteli nicht eingesperrt, sondern zu Be?such im Karzer war und die M?glichkeit nutzte, die bisher ?wei?en W?nde‘ zu bemalen. Das Datum, 30. Juli 1822, bezog sich wahrscheinlich auf den Abschluss dieser Arbeiten.
Neue Ausmalungen gefunden
Das Werk des Schweizer Malers und Polit-Karikaturisten Martin Disteli ist ein Kunstwerk, das es zu bewahren gilt. Restauratorin Heiling wird die W?nde und die Farbe stabilisieren, die Ma?lereien reinigen und Fehlstellen retuschieren. ?Spuren, die auf den Gebrauch des Karzers hin?weisen, werden nicht restauriert“, sagt sie. Eine besondere Herausforderung wird ein Fund, den Heiling bei einer Untersuchung mit UV-Strahlung der vierten, bislang einfarbigen Wand gemacht hat. Die kurzwellige Strahlung kann Materialien eines Kunstwerks zum Fluores?zie?ren anregen und erm?glicht dadurch eine differenziertere Wahrnehmung der verwendeten Malmaterialien. Als Ergebnis dieser Untersuchung wurde nachgewiesen, dass sich hinter sp?ter hinzugefügten Farbschichten weitere Malereien befinden. ?Die Wand wurde sp?ter übermalt“, ist sich Heiling sicher.
Bis zum Tag des offenen Denkmals im September hoffen alle Beteiligten, die Restaurierung beendet zu haben und den erfrischten und konservierten Karzer der ?ffentlichkeit ab und an zug?nglich machen zu k?nnen. Und selbst wenn sich dieser Termin – wie bei so vielen ande?ren Bau?stellen – nicht halten l?sst, sei eines sicher, sagt Babett Forster: ?Ziel der aufwendi?gen Ar?beiten ist es, dieses universit?re Kleinod einem interessierten Publikum regelm??ig zeigen zu k?nnen“.
Fürstengraben 18
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Donnerstag, 13.00 bis 14.00 Uhr