
Fünf Fragen an Professor Thomas Kamradt zur studierendenorientierten Lehrentwicklung
Prof. Dr. Thomas Kamradt
Foto: Thomas KamradtProfessor Thomas Kamradt, Leiter des Instituts für Immunologie am Universit?tsklinikum Jena und Pr?sident der deutschen Gesellschaft für Immunologie, h?lt seine Vorlesungen immer selbst – eine Besonderheit in der Lehre im Medizinischen Bereich. In jeder Veranstaltung werden die Studierenden durch Quizze, eine Frage des Tages und weitere Feedbackelemente angesprochen und aktiv einbezogen. So wird Lehre bei ihm lebendig und gestaltet sich als interaktiver Austausch zwischen dem Lehrendem und den Studierenden – bei einer Gruppengr??e von durchschnittlich 100 Studierenden ist auch das eine Besonderheit. Bereits 2014 erhielt Thomas Kamradt den Lehrpreis der Fachschaft Medizin. Seitdem hat er sein Lehrkonzept zusammen mit den verschiedenen Studierendenkohorten weiterentwickelt und verr?t in diesem Interview, welche Zukunftsvisionen er für seine Veranstaltungen noch hat.
Wie sieht Ihr Lehrkonzept konkret aus?
Mein Lehrkonzept basiert auf drei wesentlichen S?ulen:
Grunds?tzliches Verst?ndnis vor Details.
Die StudentInnen sollen grunds?tzliche Funktionsweisen und Fehlfunktionen des Immunsystems kennen und verstehen. Meine Zielgruppe sind zukünftige Allgemein?rzte, und Fach?rztinnen verschiedener Disziplinen. Immunologische Therapien sind heute in fast jeder Fachdisziplin relevant. Bei immer mehr Krankheiten, von denen man das früher nicht vermutet h?tte (z.B. Stoffwechselst?rungen, neurodegenerative Erkrankungen) wird bekannt, dass immunologische (Fehl)Reaktionen für die Pathogenese entscheidend sind. Deshalb ist es mir wichtig den Lernenden ein fundiertes Verst?ndnis zu vermitteln. Die Details sind dabei weniger relevant, vieles was wir heute lehren wird in 10 Jahren schon überholt sein, das Verst?ndnis der grundlegenden Prozesse hingegen nicht.
Verst?ndnis entsteht durch Selber-Denken.
Dazu sollen die Quizfragen und die Frage des Tages Gelegenheit geben. Darüber hinaus liefern die Antworten auf diese Fragen mir sofortiges Feedback bezüglich des Lernerfolges. So kann ich erkennen, welche Punkte nochmal / besser erkl?rt werden müssen.
Feedback, Feedback, Feedback.
Zus?tzlich zu den Quizfragen und der Frage des Tages k?nnen die Lernenden ein ?one minute paper“ beantworten. Das hei?t so, weil die Bearbeitung die TeilnehmerInnen nicht mehr als eine Minute kosten sollte. Gefragt wird z.B. ?Was war das wichtigste, das Sie heute gelernt haben?“. Wenn die Antworten erheblich von dem abweichen, was ich für das wichtigste halte, wei? ich, dass ich die Akzente anders setzen muss. Eine andere Frage ist: ?Was blieb heute unklar oder war unverst?ndlich?“. Wie im Eingangstext schon erw?hnt wurde, ist dieser st?ndige Dialog mit den Lernenden ein wesentlicher Treiber für die Weiter-Entwicklung der Vorlesung. Dazu natürlich noch die strukturierte Evaluation durch das Universit?tsprojekt Lehrevaluation (ULe). Die Ergebnisse tragen ebenfalls zur Weiterentwicklung bei.
Woher kam bei Ihnen die Einsicht, dass eine st?rkere Einbindung der Studierenden in Form der Abfrage des Lernfortschrittes w?hrend der Veranstaltung hilfreich ist? Wie haben Sie damit angefangen?
Zuallererst war meine Unzufriedenheit als Medizinstudent mit den damals angebotenen Vorlesungen; ich habe fast keine besucht. Als studentische Hilfskraft habe ich begonnen mich mit Hochschuldidaktik und Lern-Theorien zu besch?ftigen. Wir haben Unterrichts-Module entwickelt, bei denen die Lernenden regelm??ig selber aktiv werden und das Gelernte anwenden mussten. Als ich angefangen habe selber Vorlesungen zu halten, habe ich mir die Frage gestellt: ?Warum sollte jemand morgens um 8:30 in einen CO2 ges?ttigten H?rsaal kommen und sich 90 min lang eine Vorlesung anh?ren?“. Es war klar, dass Interaktion mit den Studierenden ein wesentlicher Punkt sein musste, ich wollte eine Vorlesung anbieten, die ich als Student auch besucht h?tte.
Sie haben in dem besonderen Sommersemester 2020 Ihre Lehre Online angeboten. Wie haben Sie ihr Konzept umgesetzt und welche Rückmeldungen haben Sie bisher von den Studierenden erhalten?
Mit wesentlicher Hilfe des Universit?tsmedienzentrums, dessen ExpertInnen hier ein gro?er Dank gebührt, habe ich die Vorlesungen aufgezeichnet. Wichtig war mir die interaktiven Elemente ins Digitale zu transportieren. So war es m?glich etwa aller 10 – 15 min eine Quizfrage einzubauen. ?hnlich wie im H?rsaal habe ich nach der Frage erkl?rt, welche Antwort die richtige war und warum die anderen Antworten nicht korrekt waren. Das Feedback dazu war sehr positiv. Ich selber habe das unmittelbare Feedback im H?rsaal vermisst, dort sehe ich ja zu jeder Frage wieviele TeilnehmerInnen welche Antwort gew?hlt haben, digital geht das nicht. Au?erdem habe ich auf Moodle Zusatz-Materialien bereitgestellt die den Lernenden weitere Orientierungshilfe geben sollten.
Sehen Sie in der Online Lehre Elemente für Ihre Veranstaltungen weit über die Zeit der Corona-Pandemie hinaus?
Ein positiver Aspekt ist sicherlich, dass die aufgezeichneten Vorlesungen wochenlang abrufbar sind. Das erm?glicht den Lernenden gr??ere Flexibilit?t bei der Gestaltung ihres Lernpensums. Als positiv wurde von den Studierenden auch empfunden, dass man im Stoff zurück springen kann, wenn etwas zu schnell war oder dass man zur Wiederholung unmittelbar auf frühere Vorlesungen zurück greifen kann. M?glicherweise kann sich das in Nach-Corona-Zeiten dahin entwickeln, dass die Vorlesung online bleibt und die gewonenne Zeit zur Bearbeitung von Problemen genutzt wird. Bin allerdings noch nicht ganz sicher, wie gut sich das bei mehr als 100 TeilnehmerInnen umsetzen lassen wird.
Was würden Sie anderen Lehrenden empfehlen, die gerne mehr Feedbackkultur in ihren Veranstaltungen Leben m?chten, aber bisher noch nicht den richtigen Zugang gefunden haben?
1) Feedback braucht Feedback. Ich w?re als Student nur dann zum Feedback bereit, wenn ich darüber informiert w?re, welche Resonanz meine Kommentare hatten. Deshalb gehe ich als Lehrender zu Beginn jedes Semesters auf die Kommentare des vorigen Jahrgangs ein und erkl?re welche Anregungen umgesetzt wurden und welche (warum) nicht.
2) Quizze w?hrend der Lehrveranstaltung werden inzwischen von verschiedenen Kollegen genutzt. Ich denke, dass ist ein wesentliches Feedback-Element und leicht umsetzbar.